INHALT: In jedem von uns schlummert etwas, das nur darauf wartet geweckt zu werden: Superstar Benedict Cumberbatch spielt im Thriller DER SPION einen unauffälligen Geschäftsmann, der in die Machenschaften der Geheimdienste gerät und der, um einen Freund zu retten, plötzlich alles riskiert.
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FILMBEWERTUNG: Der historische Spionagethriller „Der Spion“ (Originaltitel „The Courier“) erzählt die Geschichte des britischen Geschäftsmannes Greville Wynne, der während des Kalten Kriegs von der CIA und des MI6 als Bote zwischen einem russischen Überläufer, Oleg Penkowski, und den westlichen Geheimdiensten eingesetzt wurde um entscheidende Informationen über die Vorhaben der UdSSR zu überbringen. Seine größte Rolle auf politischer Ebene soll er dabei während der Kubakrise spielen.
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Wie im vorherigen Satz bereits angedeutet, spielt die Geschichte dabei auf zwei Ebenen. Es geht einmal um die politischen Konsequenzen, die die Handlungen Penkowski’s und Wynne’s mit sich bringen, auf der anderen Seite, und das steht hier deutlich im Vordergrund, ist es aber eine Geschichte über eine Freundschaft zwischen zwei Menschen, losgelöst von ihren politischen Kontexten, und ihren Rollen im Machtkonflikt des Kalten Kriegs.
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Ganz bewusst wird der Blick des Westens auf den Osten zwar gehalten, aber verschwommen dargestellt. Obgleich die russische Regierung als großer Antagonist gehandelt wird, macht der Film deutlich, dass das nicht bedeutet, „der Russe“ sei böse. Es wird verbalisiert, dass es sich um einen politischen Konflikt handelt, der mit den Menschen, abseits der Politik, nicht unbedingt vereinbar ist. Dass eine Gleichheit im Menschsein besteht und dies das ist, was gefördert werden sollte. Grade in einem Film über den Kalten Krieg, halte ich diese Botschaft für besonders relevant, da in der Vergangenheit zu oft das Schwarz-weiß-denken Hollywoods (bzw. Amerikas/des Westens) vorherrscht. Der Osten ist der Feind. Ein Abstraktum, losgelöst von der Vielschichtigkeit des Menschen.
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Ein Film über dieses Thema, der seine Zeit nutzt um die oben genannte Botschaft zu transportieren, ist ein weiterer Schritt in die Darstellung des Menschen mit Motiven und Glauben, aus denen seine Agenda rührt, anstatt nur die Agenda sichtbar zu machen. Zum Glück kommen vor allem in den letzten Jahren immer wieder Filme zum Vorschein, die sich als dreidimensional in der Betrachtung ihrer Charaktere zeigen.
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Warum ich einen historischen Spionagethriller als besonders relevant in diesem Bezug halte? Die Arbeit als Spion zeugt von einem ungetrübten Glauben an die Instanz, für die er*sie spioniert. Eine verhärtete Ansicht der Welt, die seine*ihre Taten (evtl. Gesetzes- Menschenrechtsüberschreitend) legitimiert. Wenn aber genau hier in einem historischen Kontext angesetzt wird um eben diese verhärteten Fronten ein Stück weit zu brechen, zu zeigen, dass wir alle Menschen sind, ist das ein zeitübergreifendes Statement. Was heute zählt, zählte auch früher in gewissen Maßen. Die Geschichte, wie wir sie kennen, wird auf einmal hinterfragbar. Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Aber wie richtig ist dieses Geschriebene?
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Außerdem ist es erfrischend zu sehen, dass diese Dreidimensionalität nicht dadurch erzielt wird, dass der Arbeitgeber des Protagonisten ebenfalls Dreck am Stecken hat. Das gibt es häufig, ist wahrscheinlich sehr wahr, suggeriert aber ein nihilistisch-pessimistisches Bild. Hier ziehen alle, mal mehr, mal weniger, an einem Strang. Das ist spürbar und hinterlässt ein einigermaßen wohliges Gefühl in der Magengegend.
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Natürlich muss es einen Antagonisten geben. Der wird hier von der russischen Regierung, aber präziser noch vom KGB (dem sowjetischen Geheimdienst) gemimt. Das ist aus dem westlichen Blick nicht wegzudenken und mag zutreffend sein – Ich bin kein Historiker und kann das nicht beantworten – aber ich bin mir sicher, in Russland wäre die Situation anders herum.
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Wenn wir schon bei historischer Akkuratesse sind, möchte ich ebenfalls erwähnen, dass ich mich nicht berechtigt fühle, dem Film in ebendieser zu bewerten. Ich arbeite mit dem, was im Film geboten wird und erzähle meine Gedanken anhand dessen.
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Nun aber weg von der Geschichte und der Relevanz, hin zu der Umsetzung des Films.
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Die Schauspieler sind allesamt großartig besetzt. Benedict Cumberbatch als Greville Wynne brilliert erneut. Dieser Mann braucht nicht viele Worte um den Zuschauer genau spüren zu lassen, was in ihm vorgeht. Jessie Buckley als Wynne’s Ehefrau zeigt in ihrer relativ begrenzten Präsenz eine fantastische Varianz in ihrer Profession und macht sich selbst dadurch trotz Nebenrolle permanent anwesend. Rachel Brosnahan und Angus Wright als Stellvertreter der CIA bzw. des MI6 verschwinden in ihren Rollen. Kirill Alfredowitsch bringt eine ruhige aber omnipräsente Bedrohung mit sich. Allen voran in dem Cast glänz aber der georgische Schauspieler Merab Ninidze, der Oleg Penkowski spielt. In seinem Stand als Überläufer schafft er es nicht nur eine ständige Anspannung, sondern auch eine tiefe Menschlichkeit und Liebe zu seiner Familie und zu seinem Land zu zeigen. Mit der Besetzung des Oleg Penkowski und der damit einhergehenden symbolischen Bedeutung, nicht den Hass sondern die Liebe ins Zentrum der Handlung zu stellen (sei es zu einem Freund, zu der Familie, zum eigenen Land oder der Menschheit allgemein), steht und fällt der Film. Und mit Merab Ninidze steht er wie eine eins. Er spielt einen Mann zwischen zwei Welten, der versucht die Mauer zwischen ihnen zu brechen. Ninidze spielt mit so einer Überzeugung und Ernsthaftigkeit, so einer Power und Reflektiertheit, dass er die Leinwand beherrscht, wenn er auftritt.
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Die Zusammenarbeit von Regisseur Dominic Cooke (der hauptsächlich für Theater bekannt ist) mit dem Kameramann Sean Bobbitt zeichnet sich durch spannende Ruhe aus, wie sie eben oft im Theater zu finden ist, wo keine Schnitte oder fantastischen Übergange möglich sind. Die Schauspieler bekommen hier die Zeit und Aufmerksamkeit und das ist bei so einem Film wirksamer als eine Kamera, die ihr eigener Charakter ist.
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Der Soundtrack von Abel Korzeniowski ist eher generisch und bei mir ist kein nennenswertes Stück hängen geblieben.
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Hier und da ist der Film ein bisschen zu schnell in seinem Storyfortschritt, wie ich finde. Manche Themen hätten vertiefter dargestellt werden können um weniger abrupt zu erscheinen, aber alles in allem haben wir es hier mit einem sehr runden Film zu tun, der seine symbolische Bedeutung kraftvoll porträtiert.
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Ich vergebe 8 von 10 Schwanenseen.
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Kinostart: 01. Juli 2021. Weitere Informationen zum Film unter: www.derspion-film.de
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Die Bewertung zum Film wurde von Schauspieler, Autor und Theaterregisseur Arie Jaspers geschrieben, der den Film am 17. Juni 2021 in Köln sah. Arie Jaspers: http://ariejaspers.ahoi-design.de/