BEWERTUNG: Dieser Film stellt mich vor eine harte Frage als Kritiker: Darf ich das/soll ich das? Ganz nach dem Sinne von Birdman „What has to happen in a person’s life to become a critic anyways!” Solltest du als Zuschauer auf deutsche Filme generell stehen, sieh ihn der gerne an und lies nicht weiter, denn ab jetzt muss ich mich als ein großer Freund des englischen und amerikanischen Kinos ehrlich dazu äußern: (SPOILERS AHEAD!!!)
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Erst die einfachen Dinge: Die Cinematography hatte einige schöne Momente. Vor allem die Topshots und einige der etwas längeren Sequenzen waren toll. Clubausleuchtung hat mir persönlich sehr gefallen – es gab einige Chance die da genutzt wurden um Tiefe im Bild zu erzeugen. Auch das „schwarze“ Bordell war sehr eindrucksvoll – immer wieder sprach ein Frame für sich … allerdings habe ich auch ein paar Dinge zu bemängeln: Die Linsenwahl war in meinen Augen schwierig, vor allem in Kombination mit dem Colourgrading. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob ein „realistischer Look“, der vor allem in den Szenen im Park sehr auffiel, gewollt ist – aber für mich gibt es hier eher einen minus Punkt – ich gehe ins Kino um mich selbst in einem Charakter wieder zu finden nicht mit meinen Augen in dieselbe Art Welt zu sehen die ich mir sowieso jeden Tag ansehe. Wenn man diesen Ansatz hier verfolgt hat, dann war man sehr inkonsistent indem man einige Lensflares (die nicht schön aussehen bei der Lenschoice) belassen hat und Kamerafahrten kreierte, die aus Kunst und nicht Charakter heraus inspiriert waren. Deakins und Lubezki haben beide einen naturalistischen, konsequenten Stil präsentiert wie er wirklich funktioniert – hat er für mich hier nicht. Letzter Kommentar in dem Zusammenhang zum Grading: Filmgrain, Gammawerte etc. waren alle relativ weit im „langweiligen“ Mittelfeld. Alles wirkte steril – nach den Farben war nicht mehr aus dem Film geworden, sondern er war wieder so, wie er vorher aussah ungefähr plus leichte Korrekturen – so meine Einschätzung – und so sieht es in vielen Stellen aus. Wenn man einen klar stilisierten Film macht, darf man sich zuliebe des Zuschauers gerne gönnen! Außerdem wurden EINIGE Chance verpasst, wirklich gute Low Key/High Dynamic Range Bilder zu schießen (Silhouetten, gezielt düstere oder helle Szenarien) Eine letzte Sache zur Cinematography: Der Film hat VIEL Coverage und viel davon auf Schulter. Alles schön und gut – wirkt aber in aller erste Linie einfach etwas faul oder als hätte man aus Zeitdruck oder Mangel an Ideen auf alte Muster zurückgegriffen! In der Bildgestaltung hätte ich mir gewünscht, wenigstens irgendwo die Ambition herauszusehen … schade! Aber Cinematography ist nicht alles na einem Film…
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Production Design: Ich kann in erster Linie nur wenig über die Kostüme sagen, da ich keinen besonderen Fokus darauflegte. Was mir auffiel waren die wirklich tollen Kostüme bei der Feier gegen Ende und die Veränderung der Kostüme des Hauptcharakters, wobei der oft und gerne auch mal nackt (mit nacktem Oberkörper) rumlief, aber dazu komme ich später … Ebenfalls gutes kann ich über das Set design sagen: Abgesehen von der Baustelle am Anfang die etwas gestaged aber dennoch cool aussieht wirkte für mich die Locationwahl und Ausstattung sehr stimmig – und wenn ich eins sagen kann über den Film, dann, dass er seine eigene Welt gebaut hat. Auch das Make Up war genau richtig – gerade Schweiß (fiel mir insbesondere in der Gefängnisszene auf) war ordentlich aber nicht zu viel. Credits gehen raus!
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Post Production: Die Filmmusik war ein Mix aus original Soundtrack, teilweise gespielt von einem kleinen Ensemble und vom Frankfurter Orchester (wenn ich mich richtig an die Credits erinnere). Leider gab es weder Leitmotive noch interessante Themes, Instrumentalisierung oder etwas, was es sich lohnen würde zu erwähnen. Oft waren die Streicher, insbesondere die Violinen viel zu intensiv (abgemischt) und sehr, sehr dramatisch. Nicht ihre Schuld, funktionierte bloß nicht, da die Story nicht funktionierte – aber dazu komme ich gleich. Die anderen hinein gespielten Songs werden sicherlich den ein oder anderen mit Nostalgie erfasst haben. Auch wenn nicht immer 100% ersichtlich war, warum welcher Song gewählt wurde, ich persönlich hatte hier das Gefühl, als hätte man sich Gedanken gemacht. Zur Auswahl kann ich im Nachhinein nicht viel sagen. Wenn wir aber weiter zu Soundmischung gehen, habe ich Zuneigung zu dem, was on Set Production Sound Team gemacht hat, aber nicht immer, wie es abgemischt wurde. Oft war es erstaunlicherweise etwas zu omnipräsent. Das wurde speziell anstrengend, als der Film seine volle Länge entfaltete. Der Schnitt allerdings hat in meinen Augen einige Dinge richtiggemacht, einige Dinge übersehen (teilweise gravierende Continuity Fehler, wie als Mietze Reinhold bei ihrem ersten Treffen würgt und im nächsten Shot der Schlips mit dem sie ihn würgt wieder zurück auf normal ist) und andere waren schwierig (wie als er am Anfang den Verwundeten raus bringt es ziemlich unvermittelt von drinnen nach draußen schneidet ohne die charakterliche oder zeitliche Kontinuität zu beachten. Ansonsten floss der Schnitt recht frei und ungehindert – zeigte keine Hyperaktivität – höchstens etwas interpretationsbedürftiges Crosscutting was vermutlich von Script und/oder Regie ausging. Der größte Fehler des Editors hier ist aber leider das unterlassene Entfernen der vielzähligen obsoleten Szenen – auch dazu werde ich gleich bei Story und Regie eingehen. Eine letzte Sache die ich vorher aber noch erwähnen möchte, bevor ich weitergehe: Das VFX Team hat wirklich ganze Arbeit bei dem fehlenden und recht häufig auftauchenden Arm gemacht. Wirklich großartig! Gratulation an alle Beteiligten! In meinen Augen fehlerfrei – so fehlerfrei das nicht filmaffine vermutlich nicht mal fragen werden, wie es gemacht wurde!
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Produktion, Script, Regie, Cast: Zur Produktion lässt sich erstmal nur so viel sagen: Viel von dem, was möglich und unmöglich war ist schwer einzusehen. Es ist ein ungeheures Vorhaben einen Kinofilm zu erarbeiten. Einige der Beteiligten haben sicherlich mehr als 3 Jahre ihres Lebens hineingesteckt aber leider ist nicht so wirklich ein Schuh draus geworden. Etwas, vor dem mir als Filmemacher auch bei jedem Projekt graut. Aber davon abgesehen ist die Produktionsleistung, die richtigen Leute zusammen zu bringen und das misst sich in den Leistungen aller anderen Departments. Dann lasst uns zuerst über die Schauspieler sprechen: Welket Bungué würde ich für alles in das er halbwegs passt von der Stelle weg casten. Ohne viel sagen zu müssen: Beeindruckend – definitiv ein Highlight dieses Films. Jella Haase und Albrecht Schuch bringen in meinen Augen eher durchwachsene Performances zu Tage. Beide haben starke Momente wie zum Beispiel als sie nach der Vergewaltigung in der Küche sich „nicht mehr bewegen“ kann. Allerdings habe ich ein riesen Problem mit Berliner Akzent (das ist mein Problem) und generell der Art und Weise wie gesprochen wird. Wie in so einigen deutschen Produktionen (Ausnahmen wie z.B. die meisten Szenen in Bad Banks bestätigen die Regel) habe ich das Gefühl, das Menschen anders vor als hinter der Kamera sprechen und ich meine nicht das gute Anders. Ich meine das: Warum sprichst du so? Wer spricht so? … anders. Besonders Reinhold und dessen Flammen haben dieses Problem sehr stark. Darüber hinaus möchte ich aber anmerken, dass mir die Verwundbarkeit und die Offenheit mit der die Schauspielerinnen mit ihren Rollen umgegangen sind, keines Falls entgangen ist.
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Zu guter Letzt: Script/Regie: Der ursprüngliche Gedanke seit den alten Griechen und Aristoteles „Poetik“ wenn nicht schon früher, ist, eine Geschichte mit Mitte, Anfang und Ende, mit Konflikt und einem Bogen zu erzählen, in der es um etwas Bestimmtes geht. Leider hat sich die Umsetzung bisweilen als schwierig herausgestellt. Als jemand der das Buch nicht gelesen, den Vorläufer nicht gesehen und sich vorher auch nicht weiter informierte, erwartete mich im Kino eine Überraschung: Kapitel Einblendungen. Auch wenn nicht seine Erfindung erinnerte es mich an Tarantino. Also saß ich da, bei Kapitel zwei, erwartete die ersten Plot und Pinch Points nachdem das Inciting Incident leicht enttäuschend verlaufen war – als dann ein lascher Klimax kam, war ich erst enttäuscht und ein bisschen froh, dass es zu Ende war – aber was ich nicht wusste, war, das mich noch zwei weitere Kapitel erwarteten (in denen ich erst dachte: Ah, ein 4 Akt System? Und dann es doch auf ein Falling und Rising Action 5 Akt Model hinauslief). Warum ich das erwähne (ich bin normalerweise kein Regelnazi) ist, da die Filmemacher es für nötig hielten, einen 5 Akt über drei Stunden Epos zu präsentieren und ich wäre neugierig, wie die Filmemacher mit unserer Zeit umgingen: Wenn ich das Gefühl habe ich muss eine besonders lange Geschichte erzählen, will ich entweder ein bestimmtes Thema auseinandernehmen, sodass man es verdauen kann (Stoische Philosophy aus „Kingdom of Heavens“ zum Beispiel) oder Vorlage/wahre Begebenheiten erwarten, dass ich sie halbwegs vollständig Liste, u.a. damit Theme und Plot funktionieren, wie sie sollen und nicht unter den Tisch fallen oder gehetzt wirken. Leider wurden diese Argumente ertränkt in einer Flut an Szenen, die ABSOLUT SCHMERZLOS vom Film gecuttet hätten werden können, ohne auf das Endresultat (Plot), die Protagonisten (Charakter) oder die Aussage (Theme) einen schlechten Einfluss auszuwirken. Ich spreche hier insbesondere mein Beileid aus für die Schauspieler, deren EXTREM zahlreiche Nacktszenen selten irgendeinen wirklichen Unterschied machten, sondern bestenfalls in ihrem eigenen Subplot, der scheinbar nur aufgemacht wurde, um die Sexualität des Hauptcharakteres zu erforschen (was für mich in einem Film in dem es um einen Mann geht der versucht Gutes zu tun nicht unbedingt dazu gehört) befriedigte. Das bringt mich zum Punkt Theme: Wenn man den Protagonistin eines Drehbuchs zusammenstellt, fragt man sich normalerweise: Was braucht der Charakter (tief in sich drin) und was will er (äußeres Ziel). Das eine ist für den Plot zuständig, bringt uns durch die Storywelt, stellt Konflikt her und macht Action und Spaß Faktor. Was der Charakter braucht ist eine Frage von Philosophie, Charakter – was erfüllt ihn/uns als Menschen. Eine Ausrede, diese beiden Dinge nicht klar voneinander differenziert zu präsentieren, kann ich hier nicht erkennen – also warum ist es unklar, was er will? Er sagt er will gut sein … aber was bedeutet das? Es begann gut, wo er dem Bauarbeiter half – aber sobald der Antagonist Reinhold ins Bild kommt, scheint er das zu vergessen aufgrund einer Loyalität die stoische Besessenheit bis ganz zum Schluss aufweist, die äußerst unbegründet ist. Erst sah es noch gut aus: Sein Ziel ist, einen Pass zu bekommen, sein Bedürfnis ist, ein guter Mensch zu sein. Aber dann wird der Pass für über eine Stunde Screentime nahezu vergessen und taucht irgendwann am Ende wieder auf – wie ein Loch, in das der Plot fällt. Ohne Plot Struktur (zum Beispiel ein Midpoint der die Story nach vorne bringt) wird die gesamte Mitte ähnlich wie bei „die Traumfabrik“ eine sich immer wieder ähnlich wiederholende Sequenz. Die Spieler ändern sich ein wenig, aber es bleibt wahllos – nicht auf dem Punkt. Apropos Midpoint: Die Aufgabe von einem Midpoint ist den Konflikt zu verändern und anzufachen sodass wir der Crises näher kommen, bevor wir in den Klimax gehen – stattdessen haben wir von Kapitel 3 zu 4 eine Art Midpoint, der auch eine Crises ist und alle Konflikte gefühlt auf 0 setzt und sich für immer Zeit nimmt, bis er und Reinhold wieder einander geraten (eine Beziehung die man in einer Screentime von 30 min erzählen hätte können). Dadurch, dass unser Protagonist nicht kontinuierlich nach einer Sache strebt, baut auch so gut wie kein Konflikt auf dem anderen auf. Jedes Mal wenn Leute Probleme haben muss der Konflikt erst established werden, dann aufgebaut und dadurch das dann nur limitierte Screentime zur Verfügung steht, ist der Konflikt nie wirklich stark. Auch Mietzes Tod am Ende wirkt nicht wie ein Klimax deswegen, sondern mehr wie … keine Ahnung. Eine weitere unglückliche Begebenheit. Wenn hier der Anspruch war, einen Slice of Life Charakter zu erreichen: Man hätte es besser lassen sollen. Wie Hitchcock einmal gesagt hat: „Some people want movies to be a slice of life. I want movies to be a slice of cake!” Das habe ich wirklich vermisst nach Minute 30. Also gut, warum sind diese Szenen dann im Film? Meine Gedanken dazu: Der Plot kam zuerst, dann die Charaktere. Da man die Charaktere aber sehr ernst nimmt und da ich weiß, dass man von rechts und links immer viel gesagt bekommt, wie wichtig Charaktere und Charakter Scenes sind, gibt es unzählige Szenen, in denen wir den eigentlich recht kleinen Cast aus Protagonist, Antagonist, Love Interest, und zwei, drei weiteren, unwichtigeren Charakteren begutachten. Das Problem damit: Charakter wird offenbart durch die Entscheidungen die ein Charakter unter Druck trifft. Da aber selten Druck oder nur Druck in exakt derselben Konstellation (das meinte ich mit es wiederholt sich) vorkommt, ist das was wir über den Charakter in jeder Szene erfahren seeeeehr dünn gesät. Daher brauchen wir viele dieser Szenen (so die Annahme) und dadurch haben wir einen Plot den man in einer Stunde EASY hätte erzählen können ohne sich wirklich anzusträngen in drei Stunden gedehnt. Dass das nicht cool ist brauch ich glaube ich nicht erwähnen. Eine weitere Sache die ich zum Theme anzumerken habe: Es war NICHTS eindeutig. Man könnte sagen, Interpretationsfreiheit ist eine tolle Sache und alle Terence Malik Fans nicken jetzt die Köpfe, aber so einfach hat das hier nicht funktioniert. Wenn ich das richtig verstehe, versucht der Film Charakterliche Moralische Komplexität mit Logischer Moralischer Komplexität zu vermischen – d.h. anstatt zu sagen: In jedem guten Menschen ist etwas Böses und in jedem bösen Menschen ist etwas Gutes, dreht der Film die Umstände zu: Man hätte es nicht anders machen können – was uns dazu bringt, zur logischen Komplexität zu gelangen in dem in allem guten etwas Böses und allem bösen etwas Gutes ist. Dann wird dieser Ball aber zugunsten von ganz vielen Sexszenen, Versöhnungen, Vertrauensmissbrauch und menschlichem Versagen fallen gelassen und nur ganz am Ende aufgenommen und es wirkt so, als würde der Film von sich behaupten, die ganze Zeit hindurch das Thema behandelt zu haben. Wenn das wirklich das zentrale Theme des Films sein sollte, so wie es sicherlich auch in der Logline und ich weiß das es im Trailer so präsentiert wurde, dann haben weder Regie noch Script die Recherche betrieben oder das Theme in den Fokus gerückt auf eine Art und Weise, die etwas Neues zur Debatte hinzufügt oder es auf eine besondere Weise behandelt. Also sitzen wir mit 1) Charakteren, über die man mehr hätte herausfinden können, wenn man sie in der immensen Screentime mit unterschiedlichen, immer stärker werdenden Konflikten konfrontiert hätte, 2) einem Plot der in eine Stunde gepasst hätte, ein riesen Konfliktproblem hat und wo die Unterwelt doch so ein Potenzial als Storywelt hat um neue Szenarien zu kreieren und 3) ein Theme, was in Gedichten und jeglichen Abschweifungen nur oberflächlich angesprochen und weder vorgekaut noch recherchiert präsentiert wurde. Trotz allem wirkt der Film sehr selbstgefällig und vielsagend: Das darf er eigentlich … nie? Vielleicht bei Kriegsfilmen!
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Auch wenn das nicht alles ist, was ich über den Plot zu sagen habe, es reicht fürs Erste. Das waren die Dinge, die mir das Stillsitzen erschwerten.
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Kinostart: 16. April 2020. Weitere Informationen zum Film unter:
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Die Bewertung zum Film wurde von Filmemacher Jonas David geschrieben, der den Film am 04. März 2020 in Köln sah.
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