INHALT: Der Auftragskiller John Wick setzt seinen Kampf gegen die „Hohe Kammer“ fort und hat mittlerweile die halbe Unterwelt gegen sich aufgebracht. Wick kann förmlich zusehen, wie das Kopfgeld auf ihn immer weiter steigt. Sein mächtigster Gegner ist Unterwelt-Boss Marquis de Gramont, der starke Allianzen hinter sich versammelt hat und dem seine Handlanger Shimazu und Killa treu zur Seite stehen. Sein Kampf gegen neue und alte Feinde führt Wick von New York über Paris und Osaka bis nach Berlin..
.
FILMBEWERTUNG: In „John Wick Kapitel 4“, der vom alteingesessenen Team Chad Stahelski (Regie), Derek Kolstad (Autor), Dan Laustsen (Kamera), inszeniert und von zwei neuen Autoren (Michael Finch und Shay Hatten) geschrieben wurde, verfolgen wir den namensgebenden Superkiller und liebenden Ehemann John Wick (Keanu Reeves) auf der Fortsetzung seines Rachefeldzugs gegen „Die Kammer“. Diesmal nach einem Zeitsprung zum dritten Teil und in Überlänge. Und was soll ich sagen? Der Mist funktioniert bravourös.
.
Zu keiner Minute der fast 3 Stunden wünschte ich, der Film würde zu einem Ende kommen. Was das Team hinter dem Film hier an Set Pieces und kreativen Ideen für dennoch sehr handgemacht wirkende Action auffährt, ist wirklich atemberaubend. Natürlich hat der Film krass auf das simple und im Vergleich kammerspielartige Konzept des für beinahe einer Dekade erschienen ersten Teils aufgebaut. Film für Film hat die Reihe heraus gezoomt aus dem Einzelschicksal des Protagonisten und uns immer mehr die Schemenzeichnung einer alles umgreifenden mythologischen Unterwelt kredenzt. Das ist corny, das ist cheesy und wenn man sich daran gewöhnt/ darauf einlässt, ist das ganz, ganz großer Kinospaß. Immer wieder verglich mein Film das Franchise mit dem „Fast and Furious“-Filmpool. In diversen Aspekten sind die Entwicklungen des Franchises sehr ähnlich. Was als simpler, klein gehaltener Film begann, wurde nach und nach größer, pompöser und aufgeblähter. Charaktere wurden weniger naturalistisch. Action wird wilder. Charaktere bekommen beinahe magische Kräfte, was die Schmerzverträglichkeit angeht. Doch im Vergleich zu „Fast and Furious“ behält „John Wick“ auch in der vierten Iteration seine Würde. Die Action ist nah, brutal, enorm kreativ und das alles ohne absurd zu werden. Schläge haben Konsequenzen. Charaktere sind überzeichnet, aber nicht auf cool gemacht. Die Unterwelt ist unrealistisch allumfassend, aber im Kontext der Filme sehr plausibel. Das allermeiste hat hier Hand und Fuß. Klar gibt es Dinge, die mir zu weit gehen. Kugelsichere Westen, Stürze aus dem 5. Stock, eine Pistole, die 21 Schuss pro Magazin haben sollte, bei der ich allerdings deutlich mehr gezählt habe, der Antagonist ist zu Klischee drüber. Aber ganz ehrlich, das sind im Gegenpol zu dem, was der Film bietet, Kleinigkeiten.
.
Auf die Zuschauenden wird ein non-stopp Feuerwerk aus genialen Choreos losgelassen, in denen wirklich jede*r Teilnehmer*in genau inszeniert wurde. Hier wartet niemand auf den nächsten Moment, um zuzuschlagen. Jede*r hat zu jedem Moment etwas zu tun. Das wirkt sich enorm auf die Glaubwürdigkeit der Kämpfe aus. Die Sets haben längst den Raum des Authentischen verlassen und sich dem Abstrakten und Stilisieren zugewandt. Und dann gibt es diese winzigen oder auch großen Momente an Humor in der Action, die jeden Blick belohnt.
.
Ist der Film also ein Meisterwerk? Nicht ganz. Auch wenn sich der Film super kurzweilig anfühlt und die Nebencharaktere einen Heidenspaß machen, hängt es, meiner Meinung nach, leider Gottes an Keanu Reeves. Versteht mich nicht falsch. Ich glaube, für diese Actionsequenzen hätte es niemand besseren geben können. Er nimmt seinen Charakter so sehr mit in die Choreos, dass es schon an das Kino aus dem asiatischen Raum erinnert. Der Mann war Mitte 50, als der Film gedreht wurde und was er noch an Power in seine Performance steckt, ist unglaublich. Leider ist er, meiner Meinung nach, sehr unglaubwürdig als Schauspieler. Wenn er spricht, kommt bei mir gar nichts an außer ein monotones Murmeln. Er bewegt sich steif und es wirkt beinahe, als würden zwei Menschen vor der Kamera agieren (was in jedem anderen Film auch so wäre, aber Keanu Reeves war sehr bedacht, viele Stunts selbst durchzuführen). Glücklicherweise spricht er kaum eine Seite an Dialog in den fast drei Stunden. Der meiste Text wird von einem wirklich großartigen Ensemble vorgetragen. Ob ein Donnie Yen (der scheinbar immer unfassbar gut spielt, wenn sein Charakter blind ist), ein Hiroyuki Sanada (der mit seiner Erhabenheit die Leinwand sprengt) oder auch ein Scott Adkins (der endlich mal eine wirkliche schauspielerische Rolle bekommt und zeigen darf, was er kann). Reeves Ensemble trägt den Film. Auch Bill Skarsgard als Marquis de Gramont findet nach einem holprigen Start seinen Platz im Film. Nichtsdestotrotz erwartet alle Actioninteressent*innen in „John Wick Kapitel 4“ eine wahnsinnig spannende Zeit.
.
4 von 5 „The Warriors“ Referenzen.
.
Kinostart: 23. März 2023 im Verleih der LEONINE Studios .
.
Die Bewertung zum Film wurde von Schauspieler, Autor und Theaterregisseur Arie Jaspers geschrieben, der den Film am 10. März 2023 in Köln sah. Arie Jaspers: http://ariejaspers.ahoi-design.de/